Entstellte Fratzen, flackernde Lampen, bedrohliches Schlurfen, schreckliche Experimente – all das sind klassische Elemente eines Horrorspiels auf PC & Co. Etwas anders bei The Town of Light, das zeigt, wie psychisch kranke Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts behandelt wurden. Dabei geht das Spiel schonungslos vor und hinterlässt alles andere als ein angenehmes Gruselgefühl. Das Spiel setzt auf die Beklemmungen durch Einsamkeit, Gefangenschaft und dem Verlust der Kontrolle über sich selbst.
Ganz auf klassische Horroreffekte verzichtet The Town of Light allerdings auch nicht. Da bewegt sich plötzlich das Rad eines umgefallenen Rollstuhls, oder eine unbekannte Person schließt von außen die Tür auf, die uns daran hindert den Raum zu verlassen. Hin und wieder werden im Hintergrund Geräusche aus dem Krankenhaus eingespielt, die an die Zeit des Betriebs erinnern: Wimmern, schreien, murmeln. Keiner dieser Effekte verfehlt seine Wirkung.
Die Zeitreise beginnt
Man führt in The Town of Light Renée durch das inzwischen verfallene italienische Krankenhaus Ospedale Psichiatrico di Volterra. Diesen Schauplatz gibt es übrigens tatsächlich etwa 60 km südwestlich von Florenz. LKA hat es geschafft, das Gebäude und seine Stimmung sehr dicht an der Realität zu digitalisieren. Verrostete Gitter, beschmierte Wände, robuste Lederriemen, alles scheint in Geschichte getränkt zu sein. Man bewegt sich mit Renée durch die Räume und weckt so ihre Erinnerungen. Sie hat dabei eine ruhige und klare Erzählweise, hin und wieder Gedächtnislücken und Halluzinationen.
Rückblenden zu Renées Aufenthalt im Krankenhaus kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges werden schwarz-weiß dargestellt. Unterstützt wird das von handgezeichneten Bildern, auf denen gesichtslose Krankenschwestern oder verzerrte Gesichter zu sehen sind. Das Personal wird in The Town of Light nicht als abgrundtief böse dargestellt. In diversen Schriftstücken macht das Spiel deutlich, dass die meisten nach bestem Wissen und Gewissen handelten und einfach an Elektroschocks als Heilungsmethode glaubten oder vollkommen überarbeitet waren.
Ins Verderben geführt
Man kann in The Town of Light nicht ganz frei herumlaufen. Zwar stehen einem viele Räume offen, aber manche Türen öffnen sich erst, wenn man ein bestimmtes Ereignis ausgelöst hat. So wird Renées Geschichte chronologisch geführt. Dabei sind nur wenige Objekte anschaubar, wenn sie etwas mit Renée zu tun haben. Das ist etwas schade, denn die schön gestaltete Ruine lädt neugierige Menschen zu weiteren Erkundungen ein. Dennoch, die stimmungsvolle und vorsichtige Erzählung tröstet über den geringen Mangel an Freiheit hinweg. Für die Dramaturgie ist der Ablauf sogar wichtig und transportiert hervorragend Gefühle in den Situationen. In der Regel sind das schmerzhafte Gefühle und nur ganz selten versteht man das Glück der kleinen Dinge.
Mensch und Material
LKA gelingt es, die Anstalt detailverliebt darzustellen. Die Materialien und Möbel sind glaubwürdig und sehen insgesamt schick aus. Auch die Beleuchtung kann getrost als gelungen bezeichnet werden. Das Spiel mit Licht und Schatten ruft genau die richtige Stimmung für dieses Spiel hervor. Weniger gelungen sind die Menschen. Ihre Darstellung wirkt sehr künstlich und detailarm, ihre Bewegungen hölzern. Dabei geht leider die Glaubwürdigkeit der Mimik verloren, die in so einem Spiel durchaus wichtig ist.
Das führt zwar zu Abzügen in der Grafikbewertung, man sollte sich davon aber nicht abschrecken lassen. Die meiste Zeit hat man es mit Handzeichnungen und der Ruine und ihrem Mobiliar zu tun.
Fazit
The Town of Light ist ein Meisterstück der Erzählkunst zu einem Thema, das einem den Atem nimmt. Die Tatsache, dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht, macht die Erfahrungen noch beklemmender, noch tiefer. Die Darstellung ist zumindest bezüglich der Menschen nicht ganz zeitgemäß, aber gut genug für die Erzählung. Dass manche Geschehnisse nur angedeutet werden, wie etwa eine Vergewaltigung, ist gut und richtig. Ihren Schrecken verlieren sie dadurch nicht. The Town of Light verzichtet auf Monster, Mythen und Mörder, ist dabei aber keineswegs weniger ein Horrorspiel als klassische Titel wie Outlast.
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