BioWare hat sich mit seinen letzten Produktionen nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die Qualität vergangener Titel erschien nicht mehr so hoch, wie man es von früheren Titeln kennt. Und obwohl die sehr beliebten Protagonisten wie Commander Shepard aus den vorangegangenen Mass-Effect-Teilen für Mass Effect: Andromeda nicht mehr zur Verfügung standen, erhofft sich das kanadische Entwicklerstudio damit einen fulminanten Neustart. Ob das gelungen ist, haben wir mal überprüft.
Vor dem eigentlichen Beginn, können man seinen Charakter im Editor ganz nach Gusto gestalten. Man wählt Geschlecht, Hautfarbe, Kinnbreite oder Haartracht über Schieberegler. Wer hier allerdings viel Zeit verbringen will, wird enttäuscht. Es gibt nur eine kleine Auswahl voreingestellter Kopfformen und ebenso wenig Frisuren oder Tätowierungen. Für eine Individualisierung reicht es aus, aber sich darin verlieren kann man wohl nicht. Die Wahl des Geschlechts entscheidet schließlich darüber, ob man Scott oder Sarah Ryder, die beiden Protagonisten, spielt. Im Verlauf des Spiels macht das allerdings keinen großen Unterschied und ist somit Geschmackssache. Glücklicherweise muss man sich aber nicht für eine bestimmte Charakterklasse entscheiden und ist somit in der Entwicklung wesentlich freier und dynamischer.
Wie alles beginnt
Wir schreiben das Jahr 2184. Im Rahmen der Andromeda Initiative werden (während der Ereignisse von Mass Effect 2) 20.000 Menschen mit dem Schläferschiff Arche Hyperion mit dem Ziel Habitat 7 in die Andromedagalaxie geschickt. Die liegt 2,5 Lichtjahre von der Erde entfernt und der Kryoschlaf soll dafür sorgen, dass all Reisenden wohlbehalten ankommen. Zu den Reisenden gehören auch die Zwillinge Scott und Sarah Ryder und deren Vater, der so genannte Pathfinder. Sie alle sind auf der Suche nach einer neuen Heimat in der Andromedagalaxie, als ihr Schiff über 630 Reisejahren im Jahr 2819 von der Geißel, einer Weltraumanomalie, beschädigt wird. Einer der Zwillinge fällt daraufhin ins Koma, während der andere gezwungen ist, in die Rolle des Pathfinders zu schlüpfen. Dessen Aufgaben: Planeten finden und für die Besiedlung vorbereiten und diplomatische Grundlagen für den Kontakt mit Außerirdischen etablieren.
So weit, so gut. Etwa zwei Stunden lang bringt uns das Spiel nun bei, wie wir es steuern. Dabei gibt es klassische Gefechte und Phasen zum Nachdenken, aber insgesamt keine Überraschungen oder entscheidenden Szenen. Interessanter wird es nach dem Erreichen der Raumstation Nexus. Diese Station gilt als Knotenpunkt für alle Wesen, die mit den Schläferschiffen unterwegs sind. Der Protagonist (oder die Protagonistin) Ryder stößt hier auf Widerstand. Als Pathfinder wird Ryder nicht ernst genommen, da der visionäre Vater einen langen Schatten wirft und durch sein Fehlen eine Lücke hinterlässt, die Ryder nicht zu schließen vermag. Noch nicht zumindest. Ryder steht vor feindseligen Außerirdischen, Rohstoffmangel, unbewohnbaren Planeten und verschwundenen Kolonisten. Auch die Nexus wirkt nicht gerade taufrisch und so scheint es nicht viel Hoffnung zu geben. Das wirft Ryder sich vor und zeigt damit eine innere Zerrissenheit.
Eindringlingsalarm!
Das Potential dieses Anfangs für die Charakterentwicklung ist enorm und bietet tatsächlich etwas Neues gegenüber den alten Teilen. Aber eines ist klar: Ryder wird der Held oder die Heldin und muss weitreichende Entscheidungen treffen. Und dafür bedient sich BioWare narrativer Mechaniken, die schon in den Vorgängerspielen gut funktioniert haben. Das nutzt sich leider nach einer Weile ab. Die aus verschiedenen Rassen bestehenden Reisenden werden von der aggressiv wirkenden außerirdischen Rasse der Kett bedroht, die die Neuankömmlinge als Eindringlinge und Bedrohung wahrnehmen. Daneben gibt es noch die Remnant, eine Art maschinenartige Vorläuferrasse. Interessant sind auch die Angara, die Ureinwohner des Heleus-Sternenhaufens und Verbündete der Neusiedler. Immer wieder kehrt man zur Nexus zurück, die eine Art Basis darstellt. Apropos, man bewegt sich mit der Tempest durchs All, einem schicken Schiff vom Schlage der Normandy.
Die wichtigen Nebenfiguren bringen nicht viel Neues mit sich. Sie sind überzeugend dargestellt, erinnern aber mal mehr und mal weniger an bekannte Figuren aus den Vorgängertiteln. Wer die gespielt hat, versteht auch so manche NPC-Dialoge besser. Das Mass-Effect-Universum ist sehr komplex und hat sich mit der Serie stetig mit Details gefüllt. Als Neuling wird man da schon mal verwirrt stehen gelassen, was aber nicht weiter schlimm ist. Die vielen Nebenaufgaben lassen sich gut spielen, ohne dabei all zu sehr ans Grinden zu erinnern. Es geht darum, andere Schläferschiffe zu finden, Planeten zu besuchen, Spezies zu untersuchen oder den ein oder anderen aus schwierigen Situationen zu retten. So oder so gibt es eine Menge zu tun, auch abseits der Hauptgeschichte.
Die Nadel im Heuhaufen und ein Lächeln
Ein zentraler Aspekt des Spiels ist das Auffinden und Scannen von Planeten und Sonnensystemen. So kann man seine Werte aufbessern, aber auch Technologie und Rohstoffe finden oder Spuren suchen. Alles in allem durchaus nachvollziehbar, aber bei über 100 Planeten auch sehr Zeit fressend. Das ist insbesondere dann zu hinterfragen, wenn man bedenkt, dass lediglich sechs dieser Planeten auch begehbar sind. Die sind allerdings ein Augenschmaus, wenn auch nur selten überraschend fremdartig. Sie zeigen extreme Biome, die sich teilweise sogar aufgrund der fortschreitenden Geschichte verändern. Ähnlich wie in No Man’s Sky bilden hier Strahlung und extreme Temperaturen eine Gefahr für Leib und Leben. Das Landfahrzeug Nomad und der Schutzanzug verzögern die Schädigung, man muss jedoch hin und wieder in eine schützende Station. Das fällt aber nur dann ins Gewicht, wenn man nur wenige oder keine Stationen entdeckt hat, denn sie bilden zugleich Schnellreisepunkte.
Die kritisierten Gesichtsanimationen gibt es tatsächlich, wenn auch weniger häufig, als oft dargestellt. Man kann sich darüber ärgern, weil sie die Immersion ankratzen, oder man kann sie sich amüsiert anschauen und anschließend beschwingt weitermachen. Wirklich störend sind sie aber nicht, zumal die deutsche Synchronisation insgesamt sehr gelungen ist. Die Kämpfe sind dagegen ohne Zweifel gelungen. Darin hat EA DICE mit der Frostbite-Engine auch Erfahrung. Man kann zwar nur drei der vornehmlich auf Kaqmpf ausgerichteten aktiven Fähigkeiten ausrüsten, erhält aber die Möglichkeit, bis zu vier Sets anzulegen. Zwischen denen kann man auch während des Kampfes wechseln. Auf diese Weise kann man seine Fähigkeiten der vorliegenden Situation anpassen. Die Begleiter unterstützen Ryder in ihren beschränkten Möglichkeiten. Taktische Kämpfe sind mit ihnen nur bedingt möglich und sie agieren weitestgehend automatisiert in der Nutzung ihrer Fähigkeiten.
Leider gibt es hier und da deutliche Clippingfehler oder plötzlich erscheinende NPCs. Das ist unschön und man hat das Gefühl, dass es dem Entwicklerstudio an Zeit mangelte, hier sauber zu arbeiten.
Fazit
Nein, so ganz ist es BioWare nicht gelungen, in den Neustart alter Qualitäten die nötige Fulminanz zu legen. Es gibt in Mass Effect: Andromeda viele gute Ansätze und Plots, aber eben auch viel Hausmannskost, die früheren Produktionen der Kanadier nicht gerecht würde. Dennoch ist das Spiel nicht schlecht. Es ist sowohl grafisch als auch erzählerisch durchaus sehens- und hörenswert. Die Gefechte bringen viel Spaß und so mancher Dialog zieht einen sofort in das Mass-Effect-Universum. Für ein herausragendes Spiel reicht das nicht, aber es disqualifiziert die teilweise unverhältnismäßigen Proteste wegen entgleister Gesichtsanimationen. Es gibt auch ein paar nervige Aspekte, wie das Scannen der Planeten oder die eher taktische Bedeutungslosigkeit der Begleiter. Das schmälert aber das insgesamt solide Werk nicht. Fans der Serie werden vielleicht die alten Helden vermissen, dafür aber einige alte Charaktere in den neuen wiedererkennen. Damit will es BioWare den Spielern vielleicht leichter machen, „die Neuen“ auch für eventuelle Fortsetzungen zu akzeptieren. Die alten Teile gespielt zu haben, ist für das neueste Werk nicht nötig, erleichtert aber an manchen Stellen das Verständnis.
Mass Effect: Andromeda ist ein spannendes und gutes Spiel, wenn auch kein Vorreiter seines Genres.
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